Von der brennenden Frage zur zündenden Idee
Von Christiana Jankovics, Teil der Task Force der ORF Frauen
Der ORF ist der erste öffentlich-rechtliche Sender im deutschsprachigen Raum, der eine Frauenquote von 45 von Hundert zu erfüllen hat, festgelegt im ORF Gesetz.
Es ist ein gutes Gefühl, diese Gesetzesgrundlage im Rücken zu haben und erspart viele fruchtlose Diskussionen, auch wenn es natürlich nicht linear dazu führt, dass es halbe-halbe Frauen und Männer in Führungspositionen gibt. Auch nach 10 Jahren nicht, solange existiert die Quote nämlich schon. Derzeit halten wir bei etwas über 30 Prozent, das mittlere Management eingeschlossen. Vor allem rigide Sparkurse sind ein schwerer Hemm-, eigentlich Schwemmschuh für Frauenförderung.
Der lange Weg zu mehr Gleichstellung , den wir mit Begeisterung, Naivität, Ärger, Kampfgeist, Beharrlichkeit und mit großer Unterstützung seit fast 20 Jahren gehen, hat aber vor allem zu einem im Unternehmen geführt: zu einem grundsätzlichen Verständnis von Gleichbehandlung und zu einem Selbstbewusstsein für die eigenen Rechte – bei Frauen und auch bei Männern. Das brauchen wir auch, denn wie die Schriftstellerin Gertraud Klemm in einem hinreißenden Ö1-Interview gesagt hat: Das Patriarchat ist wie Schwerkraft, es funktioniert von allein. Wir müssen ständig dahinter sein, damit sich etwas weiter- und nichts zurückentwickelt.
Der Kampf gegen die Schwerkraft
Das Großartigste, das am Beginn aller Bemühungen gestanden ist und bis heute alle Initiativen trägt, ist das Netzwerk der ORF Frauen. Wir – eine Gruppe von knapp 60 Mitarbeiterinnen des ORF, quer durch alle Abteilungen, Redakteurinnen, Frauen aus der Produktionswirtschaft, Controllerinnen, Meinungsforscherinnen, Technikerinnen – fanden uns Mitte der 1990er Jahre zusammen, nannten uns Plattform Frauen im ORF und wollten Nägel mit Köpfen machen. Heute sind wir mehr als 600, die regelmäßig in Kontakt stehen, Mentoring Programme abhalten und uns beim – pandemiebedingt virtuellen – Stammtisch austauschen.
Vorbild für unsere Vorstellungen von Gleichstellung waren uns die Medienfrauen aus Deutschland, die seit 1978 richtungsweisende Treffen in den deutschen Sendern veranstalteten, an denen 250 bis 400 Frauen teilnahmen. Sie stellten Forderungen an die Intendanten von ARD und ZDF, wollten mehr Präsenz von Frauen und Frauenthemen am Bildschirm, Quotenregelungen und Frauenbeauftragte. 1985 bekam der hessische Rundfunk seine erste Frauenbeauftragte, in den kommenden Jahren dann die meisten weiteren öffentlich-rechtlichen Sender. Nur bei uns wollte sich nichts bewegen.
Was also tun? Fakten schaffen. Wir wollten herausfinden, ob unser Unbehagen ein subjektives einer kleinen Gruppe war, oder ob viele Frauen im ORF so dachten wie wir.
Also erarbeiteten wir einen Fragebogen und schickten ihn an rund 2000 Mitarbeiterinnen im ORF – händisch, denn Social Media gab es nicht und nicht einmal Mailaccounts für alle waren 1999 State of the Art. Eine überwältigende Zahl an Rückmeldungen und eindeutige Ergebnisse bestätigten uns: Die Zeit für eine Verankerung der Gleichstellung im Unternehmen war gekommen.
(Diese Umfrage machen wir übrigens seither alle 10 Jahre, 2009 ebenso wie 2019. So haben wir objektive Ergebnisse, wo wir stehen und was sich die Mitarbeiterinnen wünschen.)
Im August 2003 hatte der ORF also endlich eine erste Betriebsvereinbarung, in der Grundsätze der Gleichstellung festgehalten wurden und eine Gleichstellungsbeauftragte sowie eine zehnköpfige paritätische Gleichstellungskommission als interne Schlichtungsstelle bestellt wurden. Natürlich hatte auch die Geschäftsführung ihre Interessen durchgesetzt, denn man wollte zwar eine gesellschaftliche Vorreiterrolle einnehmen, aber die Zügel dabei fest in der Hand behalten. Quote – nein, danke!
Das deutsche Modell hatten wir nicht einfach übernehmen können – dort waren die Frauenbeauftragten der Sender nach den Geichbehandlungsgesetzen der Länder verankert, ähnlich wie bei uns im Bundesgesetz über die Gleichbehandlung im Bereich des Bundes. ORF-Mitarbeiter*innen sind aber keine Beamten. Der Gleichstellungsplan folgte also guten Absichten, bezog sich auf das Gleichbehandlungsgesetz für die Privatwirtschaft und beinhaltete eine Reihe von Stolpersteinen, wie sich bald herausstellen sollte.
Eine Kollegin hatte die interne Gleichstellungskommission im ORF mit einer Beschwerde wegen Entgeltdiskriminierung befasst. Das Verfahren lief aus dem Ruder, zog sich über Monate, Verfahrensgrundsätze wurden nicht eingehalten, das Gremium war heillos überfordert. Die Kollegin – ich bewundere heute noch ihren Mut und freue mich, dass ich sie damals begleiten durfte – ging daraufhin zur Gleichbehandlungsanwaltschaft und strengte ein Verfahren vor der Gleichstellungskommission des Bundes an. Das Ergebnis war vernichtend, die Gleichstellungsbemühungen des ORF bekamen einen schweren Rüffel.
Es war der Beginn einer langsamen, doch stetigen Reform, die auch immer mehr von der neuen Geschäftsführung mitgetragen wurde. Nicht enthusiastisch, aber doch in dem Bewusstsein, hier etwas gewinnen zu können.
Der Zug nimmt Fahrt auf
Die Plattform Frauen wurde professioneller. In einer großen Versammlung wählten wir eine Art „Executive Board“, das Strategien erarbeiten und für die Frauen sprechen sollte. Wir nennen es Task Force – und ich bin ein Teil davon.
Schnell war klar, wenn es eine Nachhaltigkeit in den Gleichstellungsbemühungen im ORF geben soll, „dann muss es ins Gesetz“. Gefallen ist der Satz das erste Mal im September 2006 im Büro der Gleichbehandlungsanwaltschaft in der Taubstummengasse, umgesetzt wurde er nach Jahren des konsequenten Lobbyings der ORF Frauen 2010. Wir haben sie alle besucht: die Juristinnen der Gleichbehandlungsanwaltschaft, Sektionschefinnen im Frauenministerium und die Frauenministerinnen selbst, die Parlamentspräsidentin, den Medienminister, die Staatssekretärin, wohlgesonnene Stiftungsrätinnen und Stiftungsräte.
Gelungen ist das Projekt, weil es in Österreich Institutionen zur Durchsetzung von Gleichbehandlung gibt, die unabhängig und nur den Rechtsprinzipien verpflichtet unschätzbare Unterstützung leisten. Wir konnten uns auf die Mitarbeiterinnen der Gleichbehandlungsanwaltschaft, auf ihre damalige Leiterin Ingrid Nikolay-Leitner und ihre jetzige Chefin Sandra Konstatzky verlassen. Sie haben schwierige, mühsame und kontroversielle Prozesse begleitet, ohne die Geduld zu verlieren oder Ergebnisse vorwegzunehmen. Verkündet wurde die Verankerung der Quote am Journalistinnenkongress von Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek und Staatssekretärin Christine Marek. Bis heute sind wir stolz auf diesen Moment, damals wären wir fast in Ohnmacht gefallen.
Gleichstellung als System und Netzwerk
Gleichstellung im ORF ist jetzt strukturell verankert und sieht verschiedene Controlling-Prozesse vor: Eine zehnköpfige Gleichstellungskommission wird paritätisch von der Geschäftsführung und dem Betriebsrat beschickt. Gemeinsam mit sechs Gleichstellungsbeauftragten wird alle zwei Jahre ein Gleichstellungsplan erarbeitet, der in der Folge vom Generaldirektor als Dienstanweisung erlassen wird. Es stärkt die Gleichstellungsbeauftragten, die sich in der Kommission Hilfe bei der Durchsetzung ihrer Anliegen holen können und nicht – wie vielfach in deutschen Sendern – als Einzelkämpferinnen wenig erreichen und trotzdem die Verantwortung für das Fortschreiten des Gleichstellungsprozesses tragen müssen. EIGE, das Europäische Institut für Gender Equality, das den Gender Equality Index, also die statistischen Grundlagen für die Gleichstellungspolitik der EU erhebt, hat den Gleichstellungsplan des ORF als beispielgebend ausgezeichnet. Wichtiger Teil dieses Gleichstellungsplans ist eine umfassende Personalstatistik, die weit über das hinaus geht, was die gesetzlich geforderten Einkommensberichte vorsehen – das sorgt für Transparenz und hilft, messbare Personalziele umzusetzen. Parallel zu seinen Gleichstellungsvorgaben hat der ORF auch ein Gender Budgeting Projekt, das den Budgetierungsprozess bei den Personalkosten begleitet und für jede Direktion und für jedes Landesstudio in objektive Zahlen übersetzt. Derzeit liegt der Gender Pay Gap des Unternehmens bei rund 14 Prozent, das ist mehr als wir uns wünschen, aber um fast 10 Prozent weniger als der Gender Pay Gap in Österreich generell.
Warum Gleichstellung in Medien?
Wir haben den Grundauftrag, die Welt, die Gesellschaft so darzustellen wie sie ist. Das können wir nur, wenn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine möglichst diverse, der Gleichstellung verpflichtete Gruppe sind, in der unterschiedliche Meinungen und Lebensweisen vertreten sind. Darum sollte es unser Anliegen und das der Gesellschaft sein, dass die Gleichstellung ihren Stellenwert in allen Medien-Unternehmen hat.
Nur aus diesem Bewusstsein lässt sich ein differenziertes Abbild der Gesellschaft schaffen, das die Diversität in stärkerem Ausmaß berücksichtigt. Klischeehafte Darstellungen in Frage zu stellen, dafür braucht es selbstbewusste und aufmerksame Journalistinnen und Journalisten, und sie müssen in einer Unternehmenskultur agieren, in der Gleichbehandlung ein wichtiger Wert ist. Medien sind stets ein Spiegel der Gesellschaft, was sich im Mainstream nicht abspielt, wird auch in der Abbildung nicht den Stellenwert einnehmen, den es aus moralischen oder gesellschaftspolitischen Gründen haben sollte. Gerade deshalb haben öffentlich-rechtliche Sender eine Vielzahl von Vorgaben, die sicherstellen sollen, dass sich die Inhalte nicht allein an der Einschalt-Quote orientieren.
Genderstudien wie die der Maria Furtwängler Stiftung im Sommer 2017 belegen, dass hier weiterhin großer Nachholbedarf besteht: Hatte sie doch klar erhoben, dass Frauen in der öffentlichen Darstellung noch weit unterrepräsentiert sind und hauptsächlich im Kontext von Partner*innenschaft und Beziehung abgebildet werden, während Männer Expert*innenrunden dominieren.
Trotz aller Widrigkeiten halte ich den Einsatz für Gleichstellung für ein lohnendes und begeisterndes Ziel. Ich freue mich über die vielen jungen Frauen, die im ORF die Idee weitertragen. So ist in der ORF ON, wo viele Zukunftsprojekte des Hauses entwickelt werden, eine Initiative entstanden: Sie fordert Gleichstellungsvereinbarungen in diesem Bereich, damit bei neuen Projekten wie dem „ORF Player“ von Beginn an Frauen gleich repräsentiert sind und ihre Chancen auf Führungspositionen wahren können. Dem Vernehmen nach will die Geschäftsführung auch umgehend Verhandlungen aufnehmen, um die Gleichstellungsvereinbarungen der Mutter auch in den ORF Töchtern umzusetzen. Wir werden sie nach Kräften dabei unterstützen.
Gleichstellung ist Wertschätzung, ist Gerechtigkeit, ist Sensibilität für ein Gegenüber, das anders ist als man selbst. Gleichstellung ist Anerkennung, ist Chancengleichheit, ist ein Recht, ist die Grundlage für Demokratieverständnis.
P.S.: Am Foto feiern wir, Bigi Handlos, Eva Strommer, Angelika Doucha, Brigitte Wolf, Ulrike Wüstenhagen und ich unseren Medienlöwen, den wir 2017 vom Journalistinnenkongress für die Lobbyingarbeit zur Quote erhalten haben.